Sarah König
Belebtes Café im 10. Bezirk.Tische mit alten Bekannten, guten Freunden, Familien, Pensionisten, alleinerziehenden Müttern, arbeitslosen Vätern, rauchenden und naserümpfenden Gästen.Es ist vier Uhr am Nachmittag und es nieselt. Der Wind bläst draußen Blätter und Tageszeitungen von der Straße. Drinnen füllen sich die Aschenbecher und der Kaffeesatz klebt auf den karierten Plastiktischtüchern.In einer Ecke ein kleiner Tisch mit zwei Frauen. Eine mit fast fertig gerauchter Zigarette zündet sich die nächste an. Die andere wiegt einen Kinderwagen mit schlafendem Kleinkind.
MARIANNE mit der Hand wedelnd: Kannst du das Rauchen jetzt nicht auch mal sein lassen?
CHRISTINE Hast du gehört? Im 11. hat schon wieder so ein Verrückter seine Frau umgebracht. – Zieht an der neuen Zigarette.
MARIANNE Ja, aber die hat das schon so verdient. Aufgehetzt hat die den ja richtig. Ständig nur rumgenörgelt, stand in der Zeitung heute drin. Ihm tut’s ja leid, stand drin. Und die Kinder müssen jetzt ohne Mutter aufwachsen.
CHRISTINE Nein, Marianne. Das ist nur wieder der Medienrummel. Fakenews. Überall Fakenews. Ich habe gehört, er hat sie einfach niedergestochen. – Drückt die Zigarette aus.
MARIANNE wiegt den Kinderwagen schneller: Ja im Affekt! Niedergestochen im Affekt. Im Streit, weil sie kein zweites Kind mehr wollte, sondern arbeiten gehen.
CHRISTINE Recht so.
MARIANNE leise: Na ich weiß nicht…
Stille.
CHRISTINE zündet sich eine neue Zigarette an.
MARIANNE Hast du das Baby von der Karoline gesehen? Das ist doch lieb.
CHRISTINE Ein nerviger Fratz ist das. Schreit die ganze Zeit und die Karoline macht kein Auge mehr zu. – Ganz der Vater.
MARIANNE Aber lieb schaut er doch wirklich aus. Ganz rosa Backen. Und die blauen Augen! Mein Emanuel hatte bei der Geburt auch ganz blaue Augen.
CHRISTINE Das haben alle Babys.
MARIANNE nimmt den weinenden Emanuel aus dem Kinderwagen und schaukelt ihn in den Armen.
CHRISTINE schaut mit gerümpfter Nase zu: Hast du jetzt schon was vom Oskar gehört?
MARIANNE Der ist noch auf Tagung. Mit der Firma. Die schickt ihn oft weg. Der ist jetzt wichtig, mein Oskar. In Führungsposition!
CHRISTINE zündet eine neue Zigarette an: Aha.
MARIANNE Aber wenn der weg ist, bin ich am Abend ganz einsam. Da schau ich jetzt immer Fernsehen, aber da spielt es nichts Gescheites.
CHRISTINE Fakenews in den Nachrichten. Nur Fakenews. Und Metoo.
MARIANNE hält inne beim Schaukeln: Ich mein nur, aber das Metoo versteh ich nicht. Ich hab da noch nie ein Problem gehabt mit dem.
CHRISTINE zieht lange an der Zigarette: Du hast dich auch selbst eingesperrt. Zu Hause und in deiner Ehe. Aber wir alleinstehenden Frauen können schon bald nicht mehr auf die Straße gehen ohne Metoo!
MARIANNE Die Cousine von meiner Nachbarin, von der die Tochter hatte auch so ein Metoo.
CHRISTINE Die Cousine, von der die Tochter hat auch immer nur so kurze Sachen an. Wegen der werden wir nicht ernst genommen, sag ich dir, Marianne. Wegen solchen ist Metoo bald weg vom Fenster! – lauter werdend – Raus aus den Medien! Dann gibt es nur noch Fakenews!
Andere Gäste drehen sich zu den beiden um und flüstern.
MARIANNE schaut aus dem Fenster und schaukelt den Emanuel.
CHRISTINE zündet sich eine Zigarette an.
MARIANNE bekommt eine Nachricht am Handy, liest sie, legt den Emanuel in den Kinderwagen und zieht sich langsam ihre Jacke an.
CHRISTINE Kommst du nicht noch mit zum Gruber? Der hat heute Hendlwochen.
MARIANNE abwesend auf den Handybildschirm starrend: Nein, ich kann nicht mehr. – steht auf – Der Emanuel braucht sein Hipp.
CHRISTINE Nein? Marianne, ich sag dir, wenn dich das Kind nicht mehr braucht, fahren wir in das Haus von meinen Eltern ins Burgenland. Zum Entschlacken.
MARIANNE noch immer abwesend und murmelnd: Mmh. Ja, aber jetzt kann ich nicht mehr. – im Gehen: Tschüss!
CHRISTINE Tschüss! – raucht und schaut ihr kopfschüttelnd nach.
Ende
Neue Texte von Studierenden der Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien zur Ausstellung Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur. Ödön von Horváth und das Theater. Theatermuseum, Wien, 15.3.2018-11.2.2019