Vor den Vorhang

Digitalisierung bedeutender Bestände aus dem Kunsthistorischen Museum und dem Theatermuseum

Teilprojekt I: Digitalisierung der Figurinen der Hoftheater (19. Jh.)

 

Ein Forschungsprojekt im Rahmen der Strategie Kulturerbe digital.

Über den Bestand
Das Theatermuseum bewahrt in der Sammlung der Handzeichnungen ein kulturhistorisch und kostümgeschichtlich wichtiges Konvolut von Figurinen – der fachspezifische Begriff für Kostümentwürfe im Theaterbereich – der Wiener Hoftheater, d. h. des alten Hofburgtheaters am Michaelerplatz und des Kärntnertortheaters (Hofoper), das ca. 4.500 Objekte umfasst.
Das Konvolut enthält Zeichnungen von Künstlern wie Philipp von Stubenrauch (1784–1848), Vinzenz Chiesa (1790–1867), Albert Decker (1817–1871), Girolamo Franceschini (1820–1859), Albert Kretschmer (1825– 1891) und Franz Xaver Gaul (1837–1906), die an diesen Häusern als „Garderobenmeister“, also als Kostümbildner, fest angestellt waren.

Kulturhistorische Bedeutung
Da diese originalen Figurinen – alles Unikate – hunderte von Inszenierungen aus dem Zeitraum ca. 1800–1870 dokumentieren, geben sie Aufschluss über eine ganze Theaterära, die von durchaus unterschiedlichen Stilen geprägt war: von einem konservativen Post-Rokoko zum napoleonisch beeinflussten Empire-Stil zum restaurationsspiegelnden Biedermeier zu einem etwas freizügigeren und an die Revolutionsbewegungen von 1848 gemahnenden, volksnahen komödiantischen Stil bis hin zum beginnenden Historismus.
Die chronologische Betrachtung des gesamten Konvoluts offenbart den ästhetischen Wandel im Kostümbild jener Zeit, das vom Wesen her stets zwischen Alltag und Fiktion schwankt, neue Moden aufspürt und zugleich neue Trends setzt.
Dies alles begründet die kulturhistorische Bedeutung dieses Bestandes, der zudem von zwei der damals wichtigsten Bühnen im deutschsprachigen Raum stammt. Doch er ist nicht nur aus einer historisch-wissenschaftlichen Perspektive interessant, sondern kann – durch Vergleiche mit der gegenwärtigen Kostümgestaltung und Mode – auch im künstlerisch-praktischen Bereich als Inspirationsquelle dienen; seine Veröffentlichung stellt letztendlich eine einzigartige Studienmöglichkeit für angehende und etablierte Kostümbildner*innen dar, wie auch für Regisseur*innen, Dramaturg*innen und interessierte Laien.

Projektziel
Etwa 3.800 Figurinen aus diesem Bestand konnten im Laufe des letzten Jahrzehnts bereits katalogisiert und digital erfasst werden; etwa 2.400 wurden bereits fotografiert. Das Ziel des Projektes ist es, das Konvolut vollständig aufzuarbeiten, wofür ca. 700 Datensätze noch anzulegen und ca. 2.100 Objekte noch zu fotografieren sind.
Im Zuge dieser Arbeit sollen dann der bereits aufgearbeitete und der neuerfasste Teil des Konvoluts gemeinsam online veröffentlicht werden, und zwar in der Online Sammlung des Theatermuseums und in weiterer Folge auf Europeana und im Kulturpool.

Nachhaltige Nutzung und Innovationspotenzial
Durch die zielgerichtete Eingabe der Daten in das Objekt- und das Ereignismodul in der Datenbank des Museums (TMS) werden neben dem entwerfenden Künstler auch die Inszenierungsdaten mit Stücktitel und Rolle sowie in den meisten Fällen auch die Namen der Darsteller*innen, die das Kostüm trugen, abrufbar sein. Allein dies schon macht Tausende von weiteren Informationen (Personenbezüge, Lebensdaten, Theaterrollen) zugänglich. Noch ein Desiderat im Rahmen dieses Projektes ist es, in der Online Sammlung auch die Verknüpfung zwischen Objekten (hier Figurinen) und Ereignissen (hier Inszenierung) darzustellen, was bisher nicht möglich war und eine Sonderprogrammierung durch die IT-Mitarbeiter*innen und die Webdesigner*innen des KHM-Museumsverbandes sowie durch externe Programmier*innen erfordert.

Werden durch eine solche Programmierung also auch die im Ereignis-Modul erfassten Autor*innen und Komponist*innen der Theaterstücke und Opern sowie alle weiteren an einer Produktion beteiligten Personen online auffindbar und ggf. abfragbar, dann steht eine riesige Datenmenge zur Verfügung, die nahezu umfassend so gut wie ein Jahrhundert österreichische (Theater-)Geschichte abbildet. Endlich im Netz frei und kostenlos zugänglich, kann eine solche Datenmenge sinnvoll für die wissenschaftliche Forschung und kuratorische Recherche genutzt werden und glänzende, aber auch weniger berühmte Episoden Wiener Theatergeschehens illustrieren. Unter den zahlreichen Figurinen sind nämlich nicht nur bekannte Stücke wie Calderón de la Barcas Das Leben ein Traum und Grillparzers Weh dem, der lügt vertreten, sondern auch heute in Vergessenheit geratene Bühnenwerke, wie zum Beispiel Charlotte Birch-Pfeiffers Rubens in Madrid, Carl Töpfers Der Pariser Taugenichts, Charles Lebruns Die Puritanerin oder Eduard von Bauernfelds Der Selbstquäler. Dasselbe gilt für die an diesen Inszenierungen mitwirkenden Personen, die entweder als Stars in die Geschichte eingingen oder über die wir bisher nur sehr wenig wissen, die aber über die erweiterten Abfragemöglichkeiten in neuem Licht erscheinen können.


Die Leitung dieses Projekts obliegt Dr. Rudi Risatti, Kurator der Sammlung Handzeichnungen und Modelle am Theatermuseum.


Headerbild: Girolamo Franceschini, Frei nach Vorhangentwurf und Figuren zu „Giotto und Zerlina“ (Giovanni Golinelli), Wiener Hofoper 1855, Theatermuseum, Inv.-Nr. HM4327.

Information

Projektleiter:
Dr. Rudi Risatti (Theatermuseum)

Projektlaufzeit

Mai 2023 - August 2024

Mit der Unterstützung von

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