Heinrich von Kleist, 1777-1811
20.10.2011 - 9.4.2012

Heinrich von Kleist, 1777-1811

Ein freier denkender Mensch bleibt da nicht stehen, wo der Zufall ihn hinstößt; oder wenn er bleibt, so bleibt er aus Gründen, aus Wahl des Bessern.

Als Kleist im Mai 1799 diese Worte an seine Schwester Ulrike schrieb, hatte er gerade seine Wahl getroffen, sich dem „Zufall“, seiner durch Herkunft und Tradition vorbestimmten Rolle, entgegengestellt und mit der Verwirklichung seines eigenen Lebensplans begonnen: Nach „sieben unwiederbringlich verlornen Jahren“ im preußischen Militärdienst bat Kleist 1799 um Demissionierung und schrieb sich an der Universität seiner Heimatstadt Frankfurt an der Oder als Student ein. Die Selbstgewissheit, den richtigen Lebensweg gefunden zu haben, hielt nicht lange; schon nach drei Semestern brach Kleist sein Studium ab und zu neuen Ufern auf.

Kleists ungewöhnlicher und ruheloser Lebensweg führte ihn durch ein ruheloses Europa. Er war als fast noch Kind schon Offizier, als Student dann älter als die meisten seiner Kommilitonen, war Reisender, vermeintlicher oder tatsächlicher Spion, Beamter, Kriegsgefangener, Herausgeber, politischer Propagandist, Boulevardjournalist, die Konventionen kenntnisreich nutzender Nonkonformist – und vor allem ein Dichter, unter den merkwürdigsten und schwierigsten Bedingungen. Im Ringen um die unbedingte Verwirklichung des eigenen Anspruchs schuf Kleist in wenigen Jahren ein literarisches und journalistisches Werk, das 200 Jahre später moderner denn je ist.

Die Biographen des 19. und 20. Jahrhunderts sahen Kleist vornehmlich als einen an der Zeit gescheiterten Dichter, dessen Leben sich folgerichtig auf ein tragisches Ende hin bewegt hatte. Doch nicht das temporäre oder partielle Scheitern Kleists an sich selbst oder an den Umständen steht im Mittelpunkt der Ausstellung, sondern seine wichtigen und manchmal überraschenden Entscheidungen. Sein Gedanke vom Lebensplan lässt sich so bis zu seinem spektakulären Freitod am 21. November 1811, dem Höhepunkt seiner Selbstinszenierung, weiter verfolgen.

Als Leitmotiv der Ausstellung anlässlich des Kleistjahres 2011 dienen die Selbstäußerungen Kleists in seinen Briefen, in all ihrer Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit. So entsteht ein Bild des Dichters, das ergänzt wird mit Exkursen zu einigen seiner Dramen, zum Beispiel dem am 17. März 1810 im Theater an der Wien uraufgeführten „Käthchen von Heilbronn“, und mit Beispielen seiner journalistischen Tätigkeit als Herausgeber der ersten Boulevard- und Tageszeitung Berlins. Die gezeigten Exponate reichen vom Autographen des „Zerbrochnen Krugs“, einem der wenigen überlieferten Originalmanuskripte Kleists (eine Leihgabe der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz), über wertvolle Handschriften aus Wiener und Frankfurter Beständen bis zu den seltenen materiellen Spuren seines Lebens.

Die Ausstellung wurde von Anette Handke und Andreas Kugler kuratiert, von Gerhard Veigel gestaltet und entstand als Kooperationsprojekt des Österreichischen Theatermuseums und des Kleist-Museums in Frankfurt (Oder), das über die umfangreichste Sammlung zu Heinrich von Kleists Leben und Werk verfügt.

 
to top