Wie gedenkt man als Theatermuseum der Befreiung des KZ Mauthausen und seiner Nebenlager, wenn es keine Objekte gibt?
Denn diesbezügliche Recherchen zeitigen kaum Ergebnisse. Allerdings sind diese Leerstellen bezeichnend, reflektieren sie doch in gewisser Weise das Verhältnis performativer künstlerischer Aktivität im KZ Mauthausen sowie seiner Nebenlager und der Sammlungen des Theatermuseums.
Bezüglich des KZ Mauthausen sind nur wenige Zeugnisse performativer künstlerischer Aktivität vorhanden. Theatrale Tätigkeiten sind de facto kaum überliefert, Musikdarbietungen entstanden unter dem Zwang der SS und fallen somit unter die Kategorie des Missbrauchs. Auch ist auffällig, dass die wenigen diesbezüglichen Zeugnisse nicht in deutscher Sprache, sondern vorwiegend in der Sprache des Herkunftslandes vieler Verschleppter (Polnisch, Tschechisch, Spanisch) verfasst wurden. Ein Umstand, der die Rezeption zusätzlich erschwerte und erschwert.
→ Brigitte Dalinger, „Man bewilligte uns sogar einige Spiele“. Künstlerische Aktivitäten unter dem Zwang der NS-Herrschaft in Österreich, Wien 2022
Zudem gibt es nach heutigem Kenntnisstand unter den performativen Künstlern, von denen Material in den Sammlungen des Theatermuseums verwahrt wird, nur wenige, die in das KZ Mauthausen verschleppt wurden. Neben dem Tänzer und Choreografen Alexander/Sascha Leontjew und dem Theatermann Emil Geyer wäre hier auch der tschechische Schauspieler, Sänger und Musiker, Regisseur, Kabarettist sowie Filmtätige Karel Hašler zu nennen. – Die Objekte zu diesen Persönlichkeiten haben allerdings keinerlei Bezug zum KZ Mauthausen.
Dennoch sei im Folgenden an einen von ihnen, nämlich Karel Hašler, erinnert. Freilich über den Umweg eines Artikels des Musikologen, Historikers, Sängers und Fernsehmannes Radan Dolejš, der im zweiten Heft des Jahres 2017 der Prager Divadelní revue erschienen ist und detailliert wie quellenkritisch die Todesumstände des in Mauthausen Ermordeten samt seiner Festnahme und Inhaftierung rekonstruiert.
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Dieser Artikel wurde im Auftrag des Theatermuseums von Ondřej Cikán übersetzt.
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Die quellenkritische Ausrichtung von Dolejš’ Artikel illustriert beispielhaft die Problematik der Erinnerung an die Gräuel der Schoah wie ihrer Vorgeschichte. – Vier unterschiedliche, sich partiell ähnelnde Umstände des Todes Hašlers werden referiert und diskutiert. Die angeführten Quellen sind zudem Zeugnis der Mythenbildung um einen im tschecho-slowakischen Raum populären Schauspieler und Sänger, der zu einem nationalen Märtyrer wurde. Hašlers patriotische Lieder, bei denen es sich allerdings nur um einen Ausschnitt seines musikalischen Schaffens handelt, waren bereits während des Ersten Weltkrieges Vehikel des Widerstandes gegen das Habsburgerreich geworden. Während der Okkupation wurde so manches seiner Lieder wie „Ta naše písnička česká“ (Unser tschechisches Lied) oder „Svoboda je Svoboda“ (Freiheit ist Freiheit) zu einer Art inoffiziellen Hymne des Widerstandes. Von der Wirkungsmächtigkeit dieser Lieder berichtete übrigens auch Paul Hörbiger, der mit Hašler gut bekannt war, anekdotenhaft (siehe unten). Dolejš richtet in seiner Biographie Hašlers bis zur Verhaftung den Fokus ebenfalls weniger auf dessen theatrale Karriere, sondern auf seine sängerische Tätigkeit. Und so verwundert es nicht, wenn ein erwähntes Zeugnis über die letzten Tage Hašlers einen zur Gitarre patriotische Lieder singenden Häftling zeigt. – De facto waren zum damaligen Zeitpunkt Musikinstrumente im KZ Mauthausen verboten.
Auch die erwähnte Behinderung durch die Sprachbarrieren ist dem Artikel eingeschrieben. So wurden etwa einzelne Details, die im Original in deutscher Sprache verfasst waren, von Dolejš offensichtlich falsch ins Tschechische übersetzt; mangels der Einsichtsmöglichkeit in die Originaldokumente bleibt die Rückübersetzung stets problematisch. Wir haben daher auf die betreffenden Stellen im Kommentar hingewiesen. Ebenda finden sich auch Erläuterungen und Informationen, die für das deutschsprachige Publikum nicht zum Allgemeinwissen gehören, dem tschechischen hingegen redundant erscheinen müssen.
Kurt Ifkovits
Wenige Minuten, nachdem ich [im Prager Palais Lucerna, eigentlich ein multifunktionales Gebäude mit Kino und Veranstaltungssälen] von der Ermordung meines Freundes erfahren hatte, ließ mich der nationalsozialistische tschechische Kultusminister Emanuel Moravec in seine Loge rufen. Im Saal wurde getanzt, und nach der Begrüßung des Ministers habe ich aus seiner Loge dem Kapellmeister in tschechischer Sprache zugerufen: „Spielen Sie doch bitte für mich das Lied ‚Pisnička Česka‘ [!] von Karel Hašler.“
Eisiges Schweigen. Ein Musiker rief zurück: „Das Lied ist verboten.“
Und der Minister: „Herr Hörbiger, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß dieses Lied wirklich verboten ist.“
Ich, wieder sehr mutig: „Für mich is gar nix verboten, bitte Herr Kapellmeister.“
Nun forderten meine tschechischen Kollegen den Dirigenten auf: „Aber ja, spiel’s, was soll schon passieren?“
Und tatsächlich, nach kurzer Diskussion ertönte das beliebte Lied ‚Pisnička Česka‘ [!] von Karel Hašler, der ganze Saal hat laut mitgesungen. Nur der Minister verließ wütend seine Loge.
[…]
Das Lied ‚Pisnička Česka‘ [!] war verklungen, der Ball vorüber. Und am nächsten Tag begrüßten mich die Prager wie einen König. Jeder, dem ich auf der Straße begegnet bin, hat seinen Hut gehoben, es war in aller Munde, daß „der Hörbiger“ das verbotene Lied hat aufspielen lassen. Das hat den Tschechen, deren Nationalbewußtsein von den Nazis gedemütigt wurde, gefallen.
(Paul Hörbiger, Ich hab für euch gespielt. Erinnerungen, Frankfurt am Main – Berlin 1989, 270 und 272)
Headerbild: Umschlag Divadelní revue 2017, No. 2