Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881–1942) verbrachte die letzten acht Jahre seines Lebens im Exil. Im Februar 1934 emigrierte er nach England, im Juni 1940 verließ er mit seiner Ehefrau Lotte Europa. Sie hielten sich in den USA und in Brasilien auf, wo sie sich schließlich Ende Februar 1942 gemeinsam das Leben nahmen.
Die Ausstellung des Theatermuseums zeigt Leben und Werk Stefan Zweigs aus dem Blickwinkel des Exils. Von herausragender Bedeutung sind dabei zwei Texte, die erst in den letzten Jahren des Exils entstanden sind: In seinen Erinnerungen Die Welt von Gestern beschwört Zweig das alte Europa; in der Schachnovelle gestaltet er hingegen jenes Grauen, das den Untergang Europas besiegelt hat. Diese beiden Texte stehen im Zentrum der Ausstellung. Erstmals ist es gelungen, Zweigs Manuskripte und Typoskripte aus Archiven in den USA und Israel in Österreich zu zeigen.
Mit Stefan Zweigs Abschied von Europa musste auch seine berühmte Autographensammlung aufgelöst werden. Was vielen bisher unbekannt ist: Ein wesentlicher Teil der Handschriften kam als Geschenk in die Theatersammlung nach Wien. Erstmals sind einige dieser wertvollen Stücke zu sehen. Last but not least: Natürlich wird in einem Theatermuseum auch der zu Lebzeiten sehr erfolgreiche Dramatiker Stefan Zweig gewürdigt!
Die Ausstellung des Theatermuseums wurde von Klemens Renoldner konzipiert und von Peter Karlhuber gestaltet. Sie wird begleitet von einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm, u. a. Lesungen von Joachim Bißmeier, Klaus-Maria Brandauer, Regina Fritsch und Michael Heltau, sowie einem Lesebuch, das im Christian Brandstätter Verlag erschienen ist.
Schächte des Geistes, Minengänge des Gefühls
Eine beeindruckende Ausstellung im Wiener Theatermuseum widmet sich Stefan Zweigs Exiljahren. Erstmals wird die Handschriftensammlung des Autors öffentlich gezeigt.
Dass diese Ausstellung im Wiener Theatermuseum stattfindet, mag überraschen. Doch erweist sich die umfassende Auseinandersetzung mit der heute zunehmend in Vergessenheit geratenen, einst sehr erfolgreichen Theaterarbeit Zweigs - etwa dem Drama Jeremias oder der Komödie Volpone (nach dem Shakespeare-Zeitgenossen Ben Jonson) - als anregend. So viel zur Ausstellungspflicht. Und die Kür? Sie besteht aus der noch nie gezeigten Handschriftensammlung, die Zweig Ende 1937 der Vorgängerin des Theatermuseums, der Theatersammlung der Nationalbibliothek, vermachte. Es handelt sich um Werkschriften, also Korrekturexemplare, Fahnen und Entwürfe. Briefe interessierten den Autografensammler Zweig nicht, ihm ging es um jenen geheimnisvollen Moment der Schöpfung, von dem die mit Verbesserungen, Streichungen, Ergänzungen übersäten Handschriften zeugen.
Augen der Seele bedürfe es laut Zweig, um die Schönheit der Autografen zu verstehen. Die winzige, verschnörkelte Handschrift Joseph Roths zum Beispiel oder die raumgreifend auf die Seite geworfenen Worte Schnitzlers, oder die Buchstaben Kafkas (er ist mit einem Blatt aus Amerika vertreten), die sich kaum entscheiden können, in welche Richtung sie laufen möchten. Sinnlich auch die Inszenierung der Ausstellungsräume (Konzept: Klemens Renoldner; Gestaltung: Peter Karlhuber). Wähnt man sich zunächst im Foyer eines Grandhotels, ist der Raum mit den Autografen mit gepackten Kisten gefüllt, die Bilder sind von der Wand genommen, die Teppiche eingerollt. Schwarze Gestapo-Ledermäntel dann im dritten, der Schachnovelle gewidmeten Raum dieser beeindruckenden Ausstellung. In seinem Zentrum steht ein großes Modell des Hotels Métropole am Franz-Josephs-Kai, das im Krieg arisiert und zur Gestapo-Leitstelle wurde, in der Zweigs Dr. B. in der Schachnovelle verhört wird.
Die Schenkung der Handschriften, Zweig war 1937 aus London angereist, um sie abzuwickeln, war auch ein endgültiger Abschied von Österreich, das den Autor in seinen letzten Werken so sehr beschäftigen sollte. 1925 hatte er im Essay Die Monotonisierung der Welt geschrieben: "Flucht, Flucht in uns selbst. Man kann nicht das Individuelle in der Welt retten, man kann nur das Individuum verteidigen in sich selbst. Des geistigen Menschen höchste Leistung ist immer Freiheit, Freiheit von den Menschen, von den Meinungen, von den Dingen, Freiheit zu sich selbst."
DER STANDARD, Stefan Gmünder
Die Lederjacken der Gestapo
Eine ausgezeichnete Ausstellung über Stefan Zweig. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Jahren des Exils und zeigt Wesentliches seiner Autografensammlung.
Im Innenhof des Palais Lobkowitz ist der prachtvolle ornamentale Teppich eines Grandhotels aufgerollt, als ob eben dichtgemacht würde. Ein zweites Zeichen des Aufbruchs: Im Hintergrund hängt ein riesiges Poster mit den Weiten des Atlantiks. Eine rote Laufschrift darüber bringt kurze Zitate über die Härten der Fremde. Inmitten des grauen Himmels und des Ozeans auf dem Foto dampft ein Passagierschiff Richtung Westen. Auf dieser Scythia machten sich am 25. Juni 1940 Stefan Zweig und seine Frau Lotte von Liverpool nach New York City auf, zu den letzten Etappen eines Exils, das bereits 1934 in Salzburg mit der Flucht dieses jüdischen österreichischen Schriftstellers vor dem Faschismus begonnen hatte.
Nicht einmal eineinhalb Jahre nach ihrer letzten Überfahrt aus Europa wird sich das Paar in Brasilien gemeinsam das Leben nehmen. Aus Hoffnungslosigkeit offenbar. Einen Tag zuvor hatte Zweig Ende Februar 1942 das Manuskript seiner „Schachnovelle“ zur Post gebracht, in den letzten Jahren in der Fremde hatte er noch seine Erinnerungen an den alten Kontinent, an das Habsburgerreich geschrieben, „Die Welt von Gestern“. Die war damals längst ausgelöscht.
Diese beiden Werke stehen auch im Zentrum der Ausstellung „Wir brauchen einen ganz anderen Mut! Stefan Zweig. Abschied von Europa“, die mit der symbolischen Ouvertüre im Eingangsbereich des Wiener Theatermuseums beginnt und in zwei anschließenden Räumen in immenser Dichte die Jahre des Exils vermittelt. Die von Klemens Renoldner konzipierte und von Peter Karlhuber gestaltete Schau ist klug und sinnlich gemacht, sie wird durch einen reich illustrierten Band mit Essays (Christian Brandstätter Verlag) perfekt ergänzt.
Noch im Eingangsbereich hat man in einer Vitrine die Emigration, die zuerst auf Jahre nach England führte, als Amtsvorgang veranschaulicht: Passfotos, Visumanträge, Empfehlungen. In weiteren Schaukästen sieht man den ungeheuren Erfolg dieses internationalen Autors, der in Dutzenden Sprachen erhältlich war.
Die zwei Haupträume sind dramatisch inszeniert. Rechts wird das Thema Aufbruch durch offene Umzugskartons aufgenommen. Sie dienen als Schaukästen. Bilder berühmter Autoren und Künstler sind in diesem Salon bereits abgehängt, man kann sie durchblättern. An der Wand stecken nur noch Haken, ein Luster ist halb herabgesenkt. Das Wesentliche bleibt aber die Schrift. Den Großteil seiner Handschriftenkollektion hat Zweig der Theatersammlung der Nationalbibliothek vermacht, deren Nachfolger das Theatermuseum ist. Viele Stücke sind erstmals ausgestellt, etwa von Kafka, Thomas Mann, Joseph Roth.
Im linken Raum begegnet man unverstellt dem Terror. Ein imposantes, beleuchtetes Modell des Luxushotels Métropole steht im Zentrum. In ihm liegt ein Teppich wie jener vom Innenhof. Das Haus am Franz-Josefs-Kai wurde nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 von der Gestapo zu ihrem Hauptquartier gemacht. Dort wurde gefoltert. Die dunklen Mäntel der Peiniger hängen nun hier an der Wand, verbreiten intensiven Ledergeruch. Rings um das Modell reihen sich Exponate: Tondokumente, Filme (mit Zweig und aus der Verfilmung der „Schachnovelle“ mit ihrem Bezug zum Métropole), das Schach des Autors, Briefe in der charakteristischen lila Tinte. Man liest von einem, der Pazifist und Europäer war, der sich bis zuletzt um Mitmenschen kümmerte, schließlich keine Illusionen mehr hatte, dem nur noch das triste Exil blieb.
Die Presse, Norbert Mayer